Trekking zum Kloster Serang und zur Serang Basic School: der Weg zu den Kindern und zu mir selbst

Aufstieg und Ankunft

27. April 2022, es ist der 5. Tag unserer Trekkingtour und wir steigen vom Bergdorf Bihi, im Nubri Valley der Manaslu Conservation Area, zum Kloster Serang auf über 3.000 m hinauf. Wir sind eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von acht Teilnehmenden und werden von einer Delegation des Klosters mit Nuptul Rinpoche, einem der Oberhäupter des Klosters und Mitbegründer der Serang Basic School, begleitet. Für mich ist diese Reise eine Art Pilger-, Studien- und Herzensreise zugleich. Der Aufstieg nach Serang führt durch wunderschöne Landschaft mit blühenden Rhododendren und steil vor uns aufragenden schneebedeckten Felswänden und Gipfeln. Zum Teil ist der Weg recht ausgesetzt, doch unser Guide Sangay leitet uns umsichtig durch die herausfordernden Passagen. Wir kommen dem Kloster und der Schule immer näher, umrunden eindrucksvolle Stupas und steigen die letzten Höhenmeter bis zu unserem Ziel hinauf – die Spannung steigt. Wir erreichen das mit einer Mauer eingegrenzte Schulgelände und schreiten durch das Tor. Die Kinder und Lehrer: innen erwarten uns mit einer berührenden Zeremonie: vor uns ein großer Platz, hinten das Holzgebäude in freundlichen Farben, davor stehen die ca. 70 Kinder in ihren blauen Schuluniformen „Spalier“ und begrüßen uns mit weißen Khatas, den traditionellen tibetischen Willkommensschals, die ein Zeichen der herzlichen Gastfreundschaft sind. Wir müssen uns z.T. ganz tief vor den kleineren Kindern verneigen, damit sie uns die Khatas umhängen können und sie fragen uns aufgeregt auf Englisch, „How are you, what´s your name?“. Ich begrüße jedes Kind und bin mindestens so aufgeregt wie sie selbst. Am Ende trage ich 19 weiße Seidenschals um den Hals und weine vor Rührung. Die Freude der Kinder, uns, ihre „Sponsoren“, zu sehen ist groß. Unsere Freude ist noch viel größer. In einem schönen und festlich geschmückten Raum werden wir von den älteren Schüler:innen mit Tee und süßen Köstlichkeiten verwöhnt. Es breitet sich ein Gefühl des Angekommenseins aus. Anschließend verabschieden wir uns für heute von den Kindern und rufen uns gegenseitig zu: „We love you, we will see you tomorrow!“.

Schule und Sponsoring

Auch im Kloster werden wir sehr herzlich empfangen, wir richten uns im Gästehaus ein und genießen den gemeinsamen Abend, bei dem wir uns auch über den Verein Human Care & Education und die Möglichkeiten zur Unterstützung der Schule unterhalten – zusätzlich zu unserer Teilnahme an dieser Reise, die ja auch eine Form des Sponsorings darstellt. 2015 nach dem Erdbeben aus der Not heraus gegründet, um Waisenkindern eine Heimat und Bildungsstätte zu bieten, beherbergt die Serang Basic School inzwischen 70 Kinder, weitere 11 stehen auf der Warteliste. Im tiefer gelegenen Ort Bihi wurde wenige Tage zuvor von uns der Grundstein zum Bau einer neuen Schule für kleinere Kinder gelegt, die in zwei Jahren bezugsfertig sein wird. Somit können zukünftig die unteren Klassen und damit kleineren Kinder in Bihi und die älteren Kinder in der höher gelegenen Schule in Serang, wo vor allem im Winter herausfordernde Verhältnisse vorherrschen, unterrichtet werden. Für Serang wurde gerade die Genehmigung auf Ausweitung der Schulstufen 6 bis 8 erteilt. Somit kann in der Region, für die das Kloster zuständig ist, bedürftigen Kindern eine Ausbildung vom Kindergarten über die „Grundschule“ bis zur Absolvierung der „Pflichtschule“ angeboten werden. 2015 hätte sich diese Entwicklung kaum jemand vorstellen können, doch dank des beherzten und umsichtigen Engagements des Klosters, des Vereins HCE und einiger anderer Sponsor:innen kann diese Vision umgesetzt werden. Es macht mich ein wenig stolz, zumindest einen geringen Teil zu diesem Projekt beitragen zu können.

Nuptul Rinpoche sagt: „A child without education is like a bird without wings“. Ein Kind ohne Bildung ist wie ein Vogel ohne Flügel, wie wahr. Diese Kinder haben durch den Schulbesuch die Chance auf eine bessere Zukunft, darauf, selbstbestimmt einen Beruf zu erlernen und sich selbst und eine Familie ernähren zu können. Viele Kinder, die wir auf dem Weg hierher gesehen haben, werden diese Chance nie haben. Das schmerzt. Aber durch unser Sponsoring dieser Schule können wir zumindest diese Kinder unterstützen. Das macht Hoffnung.

Von Spiel und Spaß mit den Kindern bis zu ihrer Ausbildung

Am nächsten Tag gehen wir wieder zur Schule hinunter. Da Ferien sind, haben die Kinder Zeit, mit uns gemeinsam zu spielen. Wir werden schon sehnsüchtig erwartet und freudig begrüßt. Die Kinder kommen gleich auf uns zu, umarmen uns, sprechen aufgeregt Englisch mit uns. Die gemeinsamen Kreis- und Fangspiele machen viel Spaß. Wir wirbeln die Kleinen im Kreis herum und werfen sie in die Luft. Die Kinder sind so herzlich, offen und dankbar und holen sich auch Liebkosungen und Zuwendung ab.

Wir bitten die größeren Kinder, uns ihre Klassenräume zu zeigen. Die fünf Klassenräume sind sehr schön mit Holz verkleidet, einfach und sauber eingerichtet, haben jeweils ein Whiteboard und einen Schrank für Bücher und Hefte. Ab der dritten Klasse gibt es sogar eine Wocheneinteilung für gewisse Aufgaben wie Class-Keeper, Water-Keeper usw. Auch Musikinstrumente werden erlernt und an den Wänden stehen viele Sprüche und Informationen auf Englisch. Die Kinder lernen hier neben Tibetisch auch Nepali, Englisch, Mathematik und Naturwissenschaften. Die Kleinsten umzingeln uns und zählen auf Englisch eifrig und stolz bis 100. Die Qualität der Ausbildung scheint wirklich gut zu sein. Die Größeren haben schon Vorstellungen von ihrer beruflichen Zukunft. Die beiden ältesten Schülerinnen wollen Krankenschwester und Ärztin werden. In einem Klassenzimmer steht ein alter Kanister, der als Abfalleimer genutzt wird. Ich lobe die Kinder und erkläre wie wichtig es ist, den Abfall nicht in den Schulhof und auf die Felder zu werfen. Die Größeren verstehen das schon: „Yes, it´s not good for the environment and the animals.“ Die Großen schwärmen aus und kommen mit Blüten aus den Bäumen und von den Wiesen rund um die Schule zurück. Sie schenken sie uns voller Freude, dazu auch selbstgebastelte Zeichnungen und Briefe, auf denen sie uns ihren Dank und ihre Zuneigung ausdrücken: „Thank you, dear Sponsor, I love you so much.“ Das geht sehr zu Herzen…

Wir verabschieden uns, morgen werden wir die Kinder bei einem Fest wiedersehen. Wir gehen ganz berührt von diesen Erlebnissen ins Kloster zurück. Nuptul Rinpoche nutzt die Zeit noch alleine mit den Kindern und spricht mit ihnen an der Feuerstelle der Küche. Er ermutigt sie, dass sie all ihre Ziele erreichen können, wenn sie nur daran glauben und die Chance nutzen, die Serang ihnen bietet. Er fragt die Kinder auch nach ihren Wünschen und sie verfassen begeistert eine Liste, auf der sie den Wunsch nach Fußball- und Volleyballequipment aufschreiben.

Erfolge, Begegnungen, Abschied und Ausblick

Heute ist der große Tag der Kinder. Sie werden unter Anwesenheit des gesamten Klosters, aller Lehrer:innen und unser Gruppe ihre Auszeichnungen für dieses Schuljahr erhalten. Die Schule ist festlich geschmückt, die Erzieher:innen und die großen Kinder tragen ihre traditionellen tibetischen Festgewänder. Wir haben unsere Geschenke mitgebracht, die wir aber erst im Anschluss an alle Kinder verteilen werden. Vorher gibt es zahlreiche Ansprachen und auch Darbietungen der Kinder: sie tragen mit großer Achtsamkeit und Anmut die nepalesische Nationalhymne sowie tibetische Lieder und Tänze vor. Drei der älteren Schüler:innen erzählen ihre Geschichte, wie sie nach dem Erdbeben als Waisen Schutz im Kloster gesucht haben, nur mit dem was sie am Leibe hatten, in der Hoffnung, hier überleben zu können. Sie bedanken sich bei uns allen, dass sie nun hier aufwachsen konnten und eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben erhalten. Wieder sind wir zutiefst bewegt. Nach einem gemeinsamen guten Mittagessen im Schulhof bekommen die Kinder ihre langersehnten Auszeichnungen sowie eine Khata und ein Geschenk überreicht.

Und danach ist endlich wieder Zeit für das gemeinsame Spiel. Wir haben Springseile, Frisbee, Gummitwist und manch andere Überraschungen mitgebracht. Die Kinder probieren voller Freude alles mit uns aus. Sie sind sehr bewegungsbegeistert und –talentiert. Auch ein Fußball ist dabei und es bilden sich gleich zwei bunt gemischte Teams, in denen vom Mönch über die Lehrerin bis zu den Schülern und der Klostersekretärin alle mitspielen. Unsere Gruppe hat sich die Wunschliste der Kinder zu Herzen genommen, Rupien gesammelt und Nuptul Rinpoche einen stattlichen Betrag für das ersehnte Fußball- und Volleyballequipment überreicht – sehr zur Freude und Überraschung der Kinder.

Ich selbst erlebe noch eine innige Zeit mit einigen der größeren Mädchen. Sie scharen sich um mich, wir stehen eng umschlungen, unterhalten uns. Ich spüre, wie sehr sie sich nach mütterlicher Liebe und Aufmerksamkeit sehnen und versuche, mein Bestes zu geben. Sie machen es mir leicht, mein Herz zu öffnen. Manche von ihnen fragen mich, ob es möglich ist, dass sie mit mir kommen können, in mein Zuhause. Sie wissen genauso wie ich, dass das nicht geht. Ich ermutige sie, hier ihren Weg zu gehen, die Schule gut abzuschließen, sich gegenseitig zu unterstützen und daran zu denken, dass wir Frauen sehr viel Kraft haben und alles erreichen können, wenn wir nur daran glauben und uns dafür einsetzen.

Am nächsten Tag machen wir uns auf den Rückweg, verabschieden uns von den wundervollen Menschen des Klosters, von den Kindern und Lehrer:innen. Die Mönche und Nonnen werden für unseren sicheren Abstieg beten, die Kinder geben uns ein wunderschönes Abschiedslied und ihre Liebe mit auf den Weg. Ich durfte von den Menschen und besonders den Kindern hier oben viel lernen, über mich selbst, das Leben, die Dinge, die wichtig sind – dafür bin ich zutiefst dankbar. Und ich bin mir sicher, dass ich dieses Projekt weiterhin unterstützen werde und wenn es mir möglich ist, an diesen kraftvollen Ort zurückkehren, die Kinder erneut besuchen und mich von ihren Fortschritten und ihrem Wohlergehen überzeugen werde.

Patricia Klahn, Innsbruck

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